Lena:  Was bedeutet Kultur für euch?

Mirko: Offenheit, rein zuhören was andere Leute machen, wie sie drauf sind. Verständnis vielleicht, aber auch das Zusammenleben, dass man sich auch untereinander unterhält. Wenn ich z.B. sag´: „Du bist doof.“, dann ist der doof, oder umgekehrt.

Lena: Hast du das Gefühl, dass in der Nordstadt eine ausgeprägte Kultur vorhanden ist, Toleranz, ein gutes Füreinander und Miteinander?

Mirko: Meine Meinung ist: die Russen mit den Polen, die Italiener gegen die Griechen, manchmal ist es so. Es ist so, es sind Spannungen da. Ich hab‘s aber auch schon viel erlebt, dass die Leute sich abkapseln in ihren komischen Kulturcafés, oder wie sie es nennen. Und ich bin auch der Meinung, dass viele von denen Waschanlagen sind.

Lena: Denkst du, dass man das ändern kann, dass man ein besseres Miteinander leben kann, egal woher man kommt?

Mirko: Die Gemeinsamkeit haben wir.

 Mirko

Person2: Das haben wir ja, es ist ja nicht jeder Russe gleich Russe und Türke gleich Türke, es gibt gute Russen (….)und es gibt jede Menge Arschlöcher, es ist scheiss egal wo.

Günther: Also, liebe Lena, ich seh´ das so wie wir uns jetzt am Tisch hier zusammengefunden haben und wenn kein Platz mehr ist, nimmt man sich ´nen Stuhl und setzt sich dazu, nicht mehr und nicht weniger.

Lena: Was meinst du, warum das in der Realität leider oft nicht so ist?

Günther: Lena, hör´ mal zu, pass mal auf, ich hab´ nicht viel Geld und ich hab´ auch keinen Aschenbecher. Manchmal muss man Kompromisse machen, Kompromisse in dem Sinne, wenn wir schon alle zusammenleben, dann muss es auch eine gemeinsame Wellenlänge geben, ne? Es nützt nichts, dass die Polen da sitzen und wir hier. Ich mein´, vor 1980 hat es hier noch gar keine Polen gegeben.

Lena: Was bedeutet für euch zu Hause?

Mirko: Zuhause…  kann ich dir gar nicht richtig sagen… Ich komme eigentlich aus dem jugoslawischen Teil, Mutter Jugoslawin, Vater unbekannt. Bin mit 2 Monaten nach Deutschland gekommen, adoptiert,  im Münsterland groß geworden. Wohn´  jetzt seit den 70er Jahren in DO, hab´ einige Stadtteile in DO hinter mir, wohn´ jetzt seit 6 ½ Jahren hier (Nordstadt). Ich kann es nicht sagen, ehrlich nicht. Zuhause, sagt man, ist eigentlich da, wo der Papa und die Mama wohnt.

Lena: Fühlst du dich denn hier zu Hause?

Mirko: Nö, mehr wie ein Reisender, Zeitlang hier, Zeitlang da, dann wieder weg.

Lena: Was bedeutet für dich Identität?

Mirko: Ich bin halt der Mirko, fertig aus, ich bin so wie ich bin. Sag´ auch meine Meinung, geh´ locker auf Leute zu, so wie man das im Münsterland halt gelernt hat. Kann hier auch zum Verhängnis werden, weil die Leute ganz anders drauf sind. Ist manchmal nicht so einfach für mich, hab´ das auch schon erlebt, bei der „Schmuddel-Demo“ (http://www.derwesten.de/staedte/dortmund/Demo-zur-Erinnerung-an-Schmuddel-id545489.html) Richtung Hafen und ich stand vor so einem türk. Café und hab gesagt: „Leute kommt mit raus, geht hier gegen Faschismus, wir machen alle zusammen was…“  Da ist die ganze Gegend aufgestanden und hat gesagt, wenn ich nicht augenblicklich den Ort verlasse, machen sie mich platt und seitdem...ich hab auch manchmal so meine Einstellung: so mit dem Nordmarkt, das wird mir zu viel. Komm´, pack´ sie alle wieder in den Koffer. Das ist jetzt nicht rechtsradikal gemeint, es nimmt überhand im Moment hier. Das kotzt mich an. Deswegen werd´ ich auch demnächst umziehen, 6 ½ Jahre hier direkt in der Nordstadt, es reicht. Bei mir auf der Straße hat es 4x dieses Jahr gebrannt. Ich hab keinen Bock mehr.

Lena: Was bedeutet für dich zuhause?

Günther

Günther: Mein Zuhause ist DO, ich war lange unterwegs, da muss ich weit ausholen. Ich bin von der Zeche entlassen worden, ich konnte nirgendwo arbeiten, ich hab da unten meine Kumpels verloren, einmal war ich auch verschüttet. Unter Tage, einer ist vor mir gegangen, das alles bedeutet für mich zuhause. Nach Hause zu kommen und zu wissen, man hat nicht viel im Leben.
Einen einzigen hab ich. Das bedeutet nach Hause zu kommen, nicht um den Freund anzubaggern oder so, sondern mit dem ´mal zu reden. Das ist Heimat. Die Bayern mögen darüber anders denken, die Sachsen auch (…)
Heimat ist ein Kumpel, der auch mal sagt, ich geh für dich ein Bier holen, obwohl ich ihm das Geld nicht geben kann. (zeigt in die Runde) Auch das hier ist Heimat.
Berlin ist anders, da kommen die Leute an, und schlagen dir den Kopp ein, ich mein, mir ist das noch nie passiert, warum nicht? ...keine Ahnung. (Zeigt Phillip seine vernarbten Fäuste) Auch das ist Heimat.
Heimat ist zum Beispiel einen blauen Tisch zu finden, wo man gar nicht weiß, ob er hält...hier wird nix weggeschmissen. Das find ich nicht in Bayern, oder in Sachsen, Spanien, Griechenland, Italien, da findest du so was nicht. Die Südländer sind bekannt für ihre Gastfreundschaft, aber lang nicht so wie wir, weil wir sind das Ruhrgebiet.
Heimat ist das Gefühl, was man hat, nach Hause zu kommen, das gibt es nicht überall, ne? Früher war es nicht anders, damals in der Zeche, naja gut, da hab ich nicht am Straßenrand ein Bier getrunken, sondern in der Kneipe. (Dialog unterbrochen, Lena gibt Günther Feuer plus Zigarette. Günther zeigt auf die Zigarette und sagt: Das hier ist auch Heimat)
 Das ist auch zum Beispiel Heimat, dass man ein Feuerzeug hinlegt (legt es auf den Tisch) und es wird nicht gleich weggenommen. Ich lebe jeden Tag meine Heimat, manchmal ist es beschissen, aber das ist meine Heimat.
Er ist meine Heimat, er ist meine Heimat...(zeigt auf einen Kumpel) Die da drüben sind auch meine Heimat.

Mirko: Und das alles ist wahrscheinlich auch zuhause und ´ne Art Familie, ein guter Freundeskreis.

Günther: Ich bin Grieche, meine Mutter war Griechin, das hier ist trotzdem alles noch Heimat, zwar ein bisschen neumodisch, aber Heimat.
1985 war ich noch auf der Zeche, meine Freundin ist damals zur schönsten Straßenbahnfahrerin in DO gewählt worden. Damals gab´s das noch, in 1985. Und glaub mir das, ich bin jeden Tag mitgefahren, bis eines Tages...naja, dann standen wir da...da bin von der Zeche gekommen, mein Kumpel hatte sich ein Haus gekauft, ich bin in der Weltgeschichte rumgefahren, bis ich kein Geld meht hatte, und dann haben wir uns getrennt, aber es ist Heimat.
Heimat ist auch dann, wenn man zurückkommt und C., also meine Freundin sagte: „Klar können wir uns treffen.“

Mirko: Ja aber hast du nicht auch ein bisschen Bauchschmerzen, wenn du wieder hierhin kommst? So wie ich, ´ne ganze Woche in Bielefeld, andere Leute um sich und kaum fährst du wieder in DO ein, hast du so einen Druck, im Plexus Bereich sag ich mal.

Günther: Ja seh´ ich aus wie so ein BRB oder was, hab ich Druck?

Mirko: Ja sicher hast du Druck da drauf, guck dich doch mal an, du hast da bestimmt 10 Atü.

Günther: (lachend) siehst du und das ist auch wieder Heimat, gelebte Heimat. Und ich war wirklich stolz drauf, dass meine Freundin 1994 ganz einfach da war. Die ist heute verheiratet, hat ein Kind, und sie hat mich eingeladen. Das ist Heimat.

Lena: Wer sind denn „Wir“?

Günther: Also ich nicht (zu Lena:) und du auch nicht, du bist keine Dortmunderin. Mit „Wir“ meine ich uns. So, wie wir die ganzen Probleme haben und so wie wir zusammen leben, das ist „Wir“. Es mag vielleicht Leute geben, die dann polnisch reden, ich mein, heute heißt einer Polenski und spricht astrein deutsch und dann gibt’s welche, die heißen Koblowski, und sprechen gar kein Deutsch, aber das ist „Wir“.
Es gibt keine Anpassung an das „Wir“.
Im Allgemeinen gesehen sind „Wir“ einfach wir. So wie wir hier sind, wie wir leben, ob Pole, Türke, Grieche, Roma, aber das sind auch „Wir“. Das gehört zum Ruhrgebiet.
„Wir“ sind die Menschen, die nicht nur hier leben, sondern in Gesamtdeutschland leben. Weißte´ was Heimat ist ? Zum Beispiel auf ´ner Kirmes arbeiten, Kirmes ist auch Heimat. (…)
Auch unsere Sprüche sind Heimat.
Früher, wenn die Bahn vorbeigefahren ist: Das Winken an den Schaffner, heute macht man das nicht mehr (…). Ich hab immer ´nen Wink bekommen, weil mein Freundin wie gesagt die Schönste war...(Macht eine Pause) Der Tod ist auch Heimat.
Heimat ist, wenn einer sagt: „Hö´ma´, ich möchte genauso verbrannt werden, wie meine Mutter und du zu ihr sagst: „ Ja, aber du hast doch noch Zeit.“. 2 Monate später ist der Tod da, das ist auch Heimat.
Heimat ist persönlich gesehen, was jeder Mensch selbst entwickelt, von seiner eigenen Sicht aus, das ist Heimat.
Der Wind, der dir um die Nase weht. Da wo ihr jetzt hier sitzt, zu uns gehörend, das ist Heimat. Das ist meine Heimat. Ich würde immer wieder zurückgehen.
Nordrhein-Westfalen ist meine Heimat, und ich möchte sie nicht missen, ich werde sie nicht missen.
Der Tod gehört auch dazu. Es sind so viele Leute die begraben werden, verbrannt werden, in Urnen. Heimat ist auch, wenn der Türke sagt: „Hier hast du ´ne Schaufel, schütt´ das Grab zu. Du kennst die schwarzen Schaufeln...du kennst die Urnen...Heimat ist, wenn du die Urne nimmst, weil deine Freundin dir gesagt hat: „Ich will verbrannt werden, bitte streu´ mich in den Kanal rein, das ist Heimat...(Pause)....

Lena: Ich finde es beeindruckend, dass du das mit uns teilst, du kennst uns ja gar nicht.

Günther: Ihr wolltet mich ja interviewen, nicht ich euch. Heimat, und das ist jetzt ganz wichtig, nimm das auf: Heimat bedeutet vor allen Dingen Freundschaft. Du kannst im Zelt am Kanal wohnen und du weißt immer wo deine Freunde sind. Du kannst jederzeit hingehen, auch ohne Geld, mit gar nichts und kannst mit ihnen reden.

Matthes: Ich bin '95 hierhin gekommen, bin damals aus Österreich weggegangen, hab´ hier meine Arbeit gefunden, hab´ meine Wohnung und ich hab´ meinen Fußballverein (riesiges BVB-Emblem auf dem T-Shirt). Ich hab´ ja noch einen Ostdeutschen Fußballverein, der spielt aber auch in schwarzgelb. Das ist aber Dynamo Dresden. Rübergekommen bin ich '85.

Matthes

Lena: Was bedeutet für dich zuhause?

Matthes: Zuhause ist ´ne Wohnung, ist ´ne Arbeit, ist ein Freundeskreis... und auch Gemütlichkeit, das ist für mich zuhause.

Lena: Nach dieser ganzen „Kulturhauptstadt 2010“-Geschichte ist in dieser Gegend das Wort „Kultur“ ein wenig in Verruf geraten. Was bedeutet für dich Kultur?

Matthes: Fußball!!! Ich hab als Kind selber gespielt, unter anderem auch bei Dynamo Dresden, deswegen ist es heute auch noch die zweitliebste Mannschaft. Kultur ist sonst noch die Freibäder, auch der Kanal, da geh´ ich eh´ mehr hin. Einfach sich mit Leuten unterhalten, ich sag mal, für nichts, über alle möglichen Dinge, über Gott und die Welt. Aber man hat seine Ruhe, bekannt, aber schön. Gemütlich ein Bierchen trinken und entspannen. Ich mein´ die Museen in DO, da kenn´ ich fast alle, außer was jetzt mit Musik zu tun hat, da muss ich passen. Das Brauerei Museum, das Hoesch Museum, Adlerturm...so was interessiert mich schon, die Kirchen kenn ich bloß alle von außen. Ich hab´ mit Gott in dem Sinn nichts zu tun.

Lena: Was bedeutet denn für dich „Wir“?

Matthes: Von mir und meinen Kumpels, mit denen ich auch hier so zusammensitze. Unter anderem teilweise von meinen Arbeitskollegen und ich hab´ ´ne sehr gute Firma, ist zwar klein, aber gut. Das sind meine Kumpels. Die kommen zu mir, wenn was mit ihren Fahrwerken ist, die reparier´ ich dann, da gibt’s mal ne Pulle Bier, fertig. Da brauch man kein Geld.


(Alle Äußerungen sind hier dokumentarisch aufgeführt und entsprechen nicht zwangsläufig der Meinung der Interviewerin, es wird darauf hingewiesen, dass diese keinerlei Verwantwortung für den Inhalt der Aussagen nimmt.)

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